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Ich bin … Wir sind!

Die Kommunikation im Vorfeld der Mitgliederversammlung des VfB nimmt Fahrt auf, steht doch u.a. mit dem Antrag auf Abwahl des Präsidenten ein kontrovers diskutierter Punkt auf der Tagesordnung. Ich möchte heute in Bezug auf die Kommunikation einen Blick auf das sogenannten „Framing“ werfen und den Einfluß dessen in der aktuellen Situation aufzeigen.

(Hinweis: Am Ende des Textes findet sich nun ein Update)


„Framing bedeutet, einige Aspekte einer wahrgenommenen Realität auszuwählen und sie in einem Text so hervorzuheben, dass eine bestimmte Problemdefinition, kausale Interpretation, moralische Bewertung und / oder Handlungsempfehlung für den beschriebenen Gegenstand gefördert wird.“ (Robert Entman: Framing: Towards a Clarification of a Fractured Paradigm, 1993 / via Wikipedia)

Der Begriff „Framing“ scheint erst in den letzten Jahren in der breiteren Öffentlichkeit in Mode gekommen zu sein (ähnlich wie „Narrativ“). Dabei ist er, die oben zitierte Defintion zeigt es, schon viel älter und der beschriebene Sachverhalt besteht wahrscheinlich schon seit Menschengedenken. In der heutigen Interpretation geht es darum bestimmte Rahmenbedingungen zu setzen, die jeweiligen Inhalte von vorneherein in die gewünschte Richtung einzuordnen und wenn möglich so auch die Auseinandersetzung damit zu steuern. Da man ja in Bezug auf den VfB gerne mal auf einfache Erklärvideos zurückgreift, tue ich dies an dieser Stelle auch:

Die Wortwahl entscheidet also über die Aktivierung unterschiedlicher „Frames“! Dies ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, wenn wir uns die aktuell laufenden Diskussionen und Positionierungen verschiedener Auffassung im Vorfeld der Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart e.V. anschauen.

Präsident Wolfgang Dietrich ist sicherlich spätestens seit seinem Engagement als Pressesprecher für S21 ein Profi und kennt die Mechanismen der Kommunikation (sollte man zumindest meinen, auch wenn dieser Einschätzung einige Auftritte entgegenstehen, die gerade das Gegenteil vermuten lassen). Und so hat er in den letzten Monaten in seinen Aussagen bewusst eine Wortwahl verwendet, die für eine breite Masse der Mitglieder (in Anlehnung an das Video oben) „Wucht“ entfalten oder – deutlicher formuliert – Kritiker diskreditieren soll.

Die seit Monaten existierenden Rücktrittsforderungen aus der Fankurve […] Diese Leute brauchen einen Prellbock […]

Stuttgarter Nachrichten (Hervorhebung von mir)

„[…] das Votum, dem sich der Präsident zu stellen habe, seien nicht krakeelende Fans, sondern die MV. „

Stuttgarter Zeitung (Paywall / Hervorhebung von mir)

Man sieht, hier sollen die Kritiker und Gegner von Dietrich in eine bestimmte Richtung gedrängt werden, z.B.:

  • Es sei nur ein kleiner Teil der Mitglieder und Fans
  • Die „Fankurve“ hat eh immer nur was zu meckern – und das unsachlich und beleidigend
  • Und überhaupt: wer sind „diese Leute“ schon, wichtig ist das Votum auf der MV und nicht anonym auf den Sozialen Netzwerken

Wenn man sich nun in verschiedenen Medien umschaut, dann hat diese Strategie durchaus Erfolg. Dort ist man genervt von dem ewigen „Dietrich raus!“, empfindet immer genau das Gegenteil von dem, was an Sachargumenten vorgebracht wird und setzt auch schon mal „Ultras“ mit „Hooligans“ gleich. So sieht das zum Beispiel auf Facebook aus:

Nur zwei Beispiele, die aber schön zeigen, wie die oben zitierten Aussage auf fruchtbaren Boden fallen.

Auf Twitter hat sich nun eine kleine Bewegung herausgebildet, die dem entgegentreten will, dass es sich bei den Kritikern Wolfgang Dietrichs nur um eine Splittergruppe aus Ultras und Hooligans handelt. Vielmehr geht die Ablehnung Dietrichs quer durch alle Gesellschaftsschichten, Altersklassen, Bildungen oder Berufe. Der Account @UberDietrich sammelt diese, hier ein paar Beispiele:

Dort versammeln sich Menschen um deutlich zu machen, dass es eben NICHT nur eine kleine, homogene Gruppe ist, die sich gegen den Präsidenten stellen. Sind diese Tweets immer zu 100% sachlich? Nein sind sie nicht, sie sollen ja auch die persönlichen Meinung und Emotion transportieren.

Framing passiert überall, egal ob von Seiten des VfB oder der Gegner vor allem des Präsidenten (ja auch dieser Text ist Framing). Natürlich werden mitunter auch die Argumente gegen Wolfgang Dietrich in einem bestimmten Kontext formuliert. Der Unterschied ist allerdings, dass die beim VfB verantwortlichen Personen einen viel größeren medialen Hebel haben um deren Standpunkte zu transportieren (egal ob es die Presse ist, vereinseigene Kanäle oder Veranstaltungen wie „VfB im Dialog“). Und damit ist der Hebel auch viel größer, Personen oder Personenkreise wie oben erwähnt zu diskreditieren.

Deswegen kann ich die Initiative auf Twitter nur unterstützen, denn sie demaskiert auf hervorragende Weise die Darstellung, wie sie von Dietrich und dem VfB seit Wochen und Monaten immer wieder in die Öffentlichkeit getragen wird. Ist das eine ausreichende Mehrheit für eine Abwahl am Sonntag? Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, nicht. Aber es sind Mitglieder und Fans, die zunehmend weniger beim VfB ein Zuhause finden. Und das sollte, wie hier im Blog auch schon lange immer mal wieder Thema, ein Alarmsignal sein!


Information ist immer wichtig, wenn möglich aus vielen Quellen. Deswegen hatten wir uns im Vorfeld der MV für den Podcast auch bewusst dafür entschieden, sowohl dem Vereinsbeirat als auch dem Commando Cannstatt Vertreter unterschiedlicher Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Ich empfehle – sofern noch nicht geschehen – die Zeit zu investieren und beide Folgen anzuhören!

Jeder soll auf der Mitgliederversammlung so wählen, wie es nach der eigenen Meinung am Besten ist. Aber trefft die Wahl informiert und beschäftigt Euch ernsthaft mit den Argumenten aller Parteien!

Und wenn die Wahl vorbei ist, dann darf und muss trotzdem weiter diskutiert und vielleicht auch mal gestritten werden. Das gehört neben der Wahlmöglichkeit auch zu einer Demokratie.


Update 10.07.2019: Als ich den Artikel geschrieben habe wusste ich zwar, dass dieses Thema sehr relevant sein würde, konnte mir aber in den kühnsten Träumen nicht vorstellen, welche Ausmaße die Diffamierung einzelner Personen bzw. Personengruppen annehmen würde. Konkreter Anlass ist dabei nicht etwas die Veranstaltung „VfB im Dialog“, in der man alle oben beschriebenen Mechaniken angewendet hat, sondern der Artikel „Ultra-kritisch: die Kurvenlage beim VfB“ von Gunter Barner in den Stuttgarter Nachrichten.

Der Artikel wurde am 10.7. veröffentlicht und ist weder mit „Meinung“ oder „Kommentar“ überschrieben (Anmerkung: dies würde jetzt zwischenzeitlich angepasst), stellt also eine journalistische Arbeit da, die den Ansprüchen an Journalismus genügen sollte.

Liest man sich den Artikel durch so wird schnell klar, dass dieser einzig und alleine darauf angelegt ist, Stimmung gegen Ultras zu machen und Kritiker von Wolfgang Dietrich auf unterstem Niveau zu diskreditieren. Hier wird mit falschen Informationen argumentiert, verallgemeinert und pauschalisiert. Um das alles auseinanderzunehmen würde es eines eigenen Blog-Eintrages bedürfen. Wer sich aber schon mal nur im Ansatz mit den Ultras beim VfB beschäftigt hat wird schnell sehen, wie viel Unwahrheit im Text der StN steckt.

Ein Ziel wird er aber auf jeden Fall erreichen: Unbedarft Lesende (und ggf. Mitglieder) werden den gewünschten Eindruck von einer verabscheuenswerten Personengruppe bekommen und sich auf jeden Fall deren und der Argumente aller Kritiker an Wolfang Dietrich verschließen.

Ich bin wahrlich kein Ultra, stehe ja nicht mal in der Kurve. Aber meiner persönlichen Meinung nach ist dieses Stück blanker Populismus zum Zwecke der Stimmungsmache, dass den Begriff „Journalismus“ nicht verdient hat und von dem ich mir nur schwer vorstellen kann, dass so eine Veröffentlichung im Interesse eines seriösen Pressehauses ist. Aber veröffentlicht wurde es ja …

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